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Bei überlasteter Kanalisation gelangen antibiotikaresistente Bakterien in Flüsse

Kläranlagen sind «Hotspots» für Antibiotikaresistenzgene und -bakterien. Überlaufende Abwasserkanäle verschärfen das Problem, indem sie diese in die Flüsse verbreiten. Forscher der Eawag schlagen Möglichkeiten vor, die Auswirkungen zu minimieren.
 
Antibiotikaresistenz ist eine wachsende Bedrohung für die öffentliche Gesundheit und inzwischen eine der häufigsten Todesursachen weltweit, an der 2019 fast fünf Millionen Menschen starben. Das liegt unter anderem am übermässigen Einsatz und Missbrauch von Antibiotika seit ihrer Kommerzialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts. Durch Abwasser können antibiotikaresistente Bakterien und Gene in die Umwelt gelangen.
 
Denn selbst nach der Aufbereitung in einer Kläranlage enthalten nicht entsprechend desinfizierte Abwässer um Grössenordnungen mehr antibiotikaresistente Bakterien und Antibiotikaresistenzgene als in Flüssen und Seen natürlich vorkommen. Unbehandeltes Abwasser enthält noch weitaus höhere Werte, sodass davon auszugehen ist, dass die Einleitung von unbehandeltem Abwasser die Umwelt noch stärker belastet. Dies kann selbst in Ländern mit ansonsten ausgezeichneter sanitärer Infrastruktur passieren, wenn starke Regenfälle zu Abwassermengen führen, die die Kapazitäten der Kanalisation oder der Kläranlagen übersteigen. Ein Gemisch aus überschüssigem Regenwasser und Abwasser wird dann unter Umgehung herkömmlicher Klärverfahren in die aufnehmenden Gewässer eingeleitet.
 
Beprobung des Abwasserüberlaufs bei Niederschlag in
einer Kläranlage in Münchwilen, Thurgau, Schweiz.
Bild: Eawag
 
Unsere Forschungsgruppe Mikrobielle Ökologie an der Eawag untersucht mikrobielle Prozesse auf Gemeinschaftsebene in natürlichen und künstlichen Systemen, darunter auch Antibiotikaresistenzen in der Umwelt. Kürzlich haben wir einen Artikel in der Fachzeitschrift Water Research veröffentlicht, in dem wir die Kontamination mit Antibiotikaresistenzen bei Unwettern im Fluss Murg bei Münchwilen in der Schweiz untersuchen.
 
Wir wollten das Ausmass solcher Verunreinigungen bei starken Regenfällen dokumentieren und quantifizieren. Das ist eine Herausforderung, denn solche Ereignisse sind relativ selten, und man muss vor Ort sein, wenn sie stattfinden. Obwohl diese Ereignisse in Münchwilen im Jahr 2019 an 118 Kalendertagen auftraten, dauerten sie meist nicht lange an. Bei starken Regenfällen gibt es viele andere potenzielle Quellen für die Kontamination eines Flusses mit Antibiotikaresistenzen, was unsere Forschung weiter erschwert. Dazu gehört der Oberflächenabfluss, der Erde in den Fluss transportiert, etwa von Feldern und Wiesen, die möglicherweise gedüngt wurden. Auch die Sedimente im Fluss werden durch die schnellere Strömung aufgewirbelt.
 
Durch den Einsatz moderner Sequenzierungstechniken zur Unterscheidung von Mikroben aus verschiedenen Quellen konnten wir diese Einträge voneinander unterscheiden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Abwasserüberlauf eindeutig die Hauptquelle für Antibiotikaresistenzen im Fluss ist. In vielen Kläranlagen, so auch in Münchwilen, durchläuft der Überlauf zumindest einen Sedimentationsprozess, bevor er in den Fluss eingeleitet wird. Dennoch waren die Antibiotikaresistenzen nach der Sedimentation immer noch sehr hoch.
 
Wir waren überrascht, dass der erhöhte Gehalt an Antibiotikaresistenzgenen im Fluss noch eine ganze Weile (22 Stunden) anhielt, selbst nachdem der Sturm abgezogen war. Zwar gibt es entlang des Flusses keine weiteren Kläranlagen, doch flussaufwärts gibt es viele Einleitungsstellen, an denen Mischwasserüberläufe den Fluss verunreinigen können. Dies bedeutet, dass mit Antibiotikaresistenzen kontaminiertes Abwasser an verschiedenen Stellen in den Fluss gelangt ist und die Einträge flussabwärts zu unseren Probenahmestellen transportiert wurden.
 
 
Bildlegende: Ein Beispiel für gezüchtete multiresistente
Bakterien aus einem Abwasser-Bypass.
Bild: Eawag
 
Wir wiesen auch multiresistente Bakterien nach, d. h. Bakterien, die gegen mehrere Arten von Antibiotika resistent sind. Viele der in unseren Proben gefundenen genetischen Fragmente enthielten mehrere Antibiotikaresistenzgene. Diese Fragmente waren in Überlauf- und damit verunreinigtem Flusswasser besonders reichlich vorhanden. Daher steigt das Risiko einer Exposition der Bevölkerung gegenüber antibiotikaresistenten und sogar multiresistenten Bakterien während und nach starkem Niederschlag. Wir fanden auch heraus, dass ein grosser Teil der multiresistenten genetischen Fragmente mit Plasmiden verbunden war - kleinen DNA-Molekülen, die zwischen Bakterien übertragen werden können. Diese multiresistenten Plasmide könnten in der Umwelt verbleiben.
 
Inwieweit trägt überlaufendes Abwasser zur Antibiotikaresistenzbelastung in Schweizer Flüssen bei? Gemäss einem anderen Eawag-Projekt – «Diffuse Mikroverunreinigungen aus städtischen Gebieten (DIMES)» von Dr. Christoph Ort und Dr. Max Maurer - machen Mischwasserüberläufe etwa vier Prozent der gesamten Abwassereinleitungen in der Schweiz aus (siehe Artikel in Water Research und Aqua & Gas). Auf den ersten Blick erscheint dieser Anteil gering. Der Überlauf enthält jedoch zwei bis drei Grössenordnungen mehr Antibiotikaresistenzen als das gereinigte Abwasser. Der tatsächliche Beitrag könnte daher mit dem des behandelten Abwassers über das ganze Jahr hinweg vergleichbar sein.
 
Was können wir tun, um diese Auswirkungen zu verringern? In unserem Water Research Papier schlagen wir vor, die Rückhaltekapazität von Kläranlagen und Rückhaltebecken zu erhöhen. Die Verringerung der Menge an unbehandeltem Abwasser, die freigesetzt wird, sollte ein Hauptziel bei der Renovierung oder dem Bau neuer Abwasserinfrastruktur sein. Weitere Massnahmen sind eine bessere Trennung von Regen- und Abwasser und eine bessere Versickerung im Einzugsgebiet, um die Regenwassermenge in der Kanalisation zu verringern.
 
Unsere künftigen Forschungsarbeiten zielen darauf ab, die räumliche und zeitliche Dynamik von Antibiotikaresistenzgenen in Flüssen während Niederschlägen in hydrologische Modelle zu integrieren. Dadurch werden wir in der Lage sein, vorherzusagen, wo und wann genau Antibiotikaresistenzgene in den Gewässern vorhanden sind. Da erwartet wird, dass der Klimawandel einerseits zu längeren Trockenperioden (mit entsprechend weniger verdünntem Abwasser) und andererseits zu mehr und stärkeren Stürmen (mit entsprechend häufigeren und grösseren Überläufen der Kanalisation) führen wird.